Wir dürfen im Interesse unserer Klienten immer wieder außergewöhnliche und rechtlich überaus interessante Rechtsfälle lösen. Ein solcher aktueller Fall führt einem eindringlich vor Augen, wie schnell eine "Haftungsfalle" zuschnappen kann.
Unser Mandant war Halter und Zulassungsbesitzer eines Pkw, der von ihm für 2 Tage an eine Bekannte überlassen wurde. Da diese beim Kochen eine Schnittverletzung an der Hand erlitt, ersuchte sie ihren bei ihr eingeladenen 20-jährigen Neffen, mit ihr noch schnell zum Supermarkt zu fahren, um noch eine Besorgung zu erledigen. Unser Mandant als Halter des KFZ wusste nichts davon.
Bei dieser Fahrt kam das vom Neffen gelenkte KFZ ins Schleudern und fuhr gegen eine Mauer. Der Neffe bekam plötzlich Panik und Angst um seinen Führerschein. Den erhebenden Polizeibeamten gegenüber gab der Neffe an, dass ein (kurzfristig zur Unfallstelle) herbei geeilter Freund das Fahrzeug gelenkt habe, was später jedoch aufflog. Ob zum Unfallzeitpunkt eine Alkoholisierung vorlag, konnte deswegen nicht aufgeklärt werden.
Am KFZ entstand durch den Unfall wirtschaftlicher Totalschaden (Wiederbeschaffungswert minus Restwert machen € 24.000 aus). Der Neffe ist quasi vermögenslos. Die Kaskoversicherung unseres Mandanten, den ja kein Verschulden an der Schadensverursachung traf, stieg nicht zuletzt aufgrund der falschen Angaben des Unfalllenkers aus und lehnte eine Leistung ab.
Im Kraftfahrgesetz (KFG) gibt es aber eine haftungsrelevante Bestimmung, auf die sich unser Mandant in diesem Fall zur Geltendmachung seines Schadenersatzanspruchs gegenüber seiner Bekannten stützen konnte. Denn der Oberste Gerichtshof (OGH) hat vor Kurzem in einem ähnlich gelagerten (OGH 2 Ob 222/17m = ZAK 2019/65) den Schutzzweck dieser Rechtsnorm entsprechend erweitert bzw klargestellt.
§ 102 KFG regelt die Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers. Gemäß Abs 8 dieser Bestimmung darf der Lenker das Lenken eines ihm übergebenen Kraftfahrzeugs ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers nicht dritten Personen überlassen.
§ 102 Abs 8 KFG bezweckt grundsätzlich den Schutz der Allgemeinheit vor Schäden, die infolge der mangelnden Fahrtauglichkeit eines Lenkers drohen, wobei allerdings aus folgenden Gründen der Kreis der von der Schutzwirkung erfassten Personen um die Person des Zulassungsbesitzers zu erweitern ist; dies ergibt sich schon aus dem Erfordernis seiner Zustimmung zur Weitergabe des Fahrzeugs, womit die Norm offenkundig (auch) die Möglichkeit der Beurteilung des Zulassungsbesitzers schützt, auf wessen Fahrkönnen er vertraut und wem er daher das Lenken seines Fahrzeugs gestattet. Diese Möglichkeit dient zwar einerseits der Vermeidung von Schäden Dritter, andererseits aber laut OGH auch und gerade der Vermeidung der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs. Hat die Norm aber den Zweck, die diesbezügliche Beurteilung durch den Zulassungsbesitzer abzusichern, dann sind auch Schäden an dessen eigenen Fahrzeug, die durch einen Fahrfehler eines nicht von seiner Zustimmung gedeckten Lenkers verursacht wurden, vom Schutzbereich dieser Rechtsnorm erfasst;
Unser Mandant konnte daher seinen Schadenersatzanspruch – gestützt auf die Gesetzesbestimmung des § 102 Abs 8 KFG gegenüber seiner Bekannten (obwohl diese den Unfall nicht verursacht hat) – geltend machen.
Bei solchen oder ähnlichen Konstellationen, insbesondere der Überlassung von fremden KFZ an Dritte (auch nur für kurze Besorgungen oder allfällige „Spritztouren“ udgl) ist also Vorsicht geboten.
Vergewissern Sie sich also in jedem Fall einer
- Weitergabe eines fremden KFZ an Dritte (als Übergeber), aber auch
- vor Inbetriebnahme eines fremdem KFZ (als Übernehmer und Lenker), ob die Zustimmung des Halters/Zulassungsbesitzers des KFZ zur Überlassung des KFZ auch zweifelsfrei vorliegt.
Ich wünsche Ihnen/Euch allzeit gute (unfallfreie) Fahrt und einen erfolgreichen Tag!
Ihr Henrik Gunz
Stichworte: § 102 Abs 8 KFG, Haftung bei Überlassung des fremden KFZ an Dritte, Schadenersatzanspruch, Schutzzweck der Norm, Haftungsfalle, Kaskoversicherung;
Stand 30.08.2020